Der Kampf ums Überleben beginnt hierzulande bei der Frage: Was essen wir heute?
Dabei geht es im Rahmen der Überflussgesellschaft oft nicht um die Problematik, dass es nichts da wäre, sondern um die Dynamik des Vielen und Reichhaltigen und die Abstimmung der Launen und Geschmäcker zu einem bestimmten Zeitpunkt. Auf die Armut und das Verderben aufgrund von Geldmangel möchte ich hier nicht eingehen. Auf ein zynisches, tinituseskes Pfeifen wird man ohnedies in diesem Text nicht verzichten können und das ist auch gut so.
Also was gibts zu essen? Setzt schonmal voraus, dass es etwas gibt. Selbstverständlich. Ein Glück, das man niemals vergessen sollte zu preisen, so lange es anhält und auch danach aus rückwirkender Dankbarkeit. Amen. Was gibt es zu essen, frage ich also auch die Kollegen im Büro. Es gab Zeiten da konnte diese Frage nur mit der Auswahl eines von ca. 75 Speisekarten verschiedener Lieferservicesse beantwortet werden. Bis Gerrit Bruce Becht als Kontakter und Koch bei Stijlroyal anfing und voreilig vorschlug, er könne ja jeden Tag was kochen. Das mit „jeden Tag“ hat er nicht gesagt, wir haben es aber so verstanden. Also jeden Werktag. Und so stehen wir jeden Tag um ca. 11:45 Uhr vor ihm und fragen: Was gibt es denn heute zu Essen? Gerrit Bruce Becht, der aus gutem Grunde auf Twitter @gleichmutig heißt und dessen Gesichtsausdruck sich im Wandel der Zeiten und der Emotionen nur marginal von clinteast-woodcool zu jules-winnfieldcool morphiert, behauptet dann stets, das sollten wir entscheiden, denn ihm wäre das egal. WAS NIEMALS STIMMT. Denn das ist nicht egal. Auch wenn man kurzfristig und von Gehirnödemen geplagt meint, irgendwas sei egal. DAS IST NICHT EGAL. NICHTS IST EGAL! Und das sagt er dann auch. Dies sei ihm zu fett, das habe er gestern schon gehabt, ein anderes Mahl findet er einfach nicht mundig, ergo, es ist nicht egal. Der Kollege Piotr Potegen isst relativ einfach gestrickt, aber er mag kein Fisch („Weil, der stinkt und da muss ich brechen!“) dafür aber Cheeseburger.
Frau Roth möchte später mal nicht so aussehen wie ich und findet Fett, Kümmel sowie Hackbraten (sic!) nur so semileidergeil bis abstoßend. Auf die Kombination (Kümmelhackbraten) möchte ich hier gar nicht erst eingehen. So streichen wir also diverse Lebensmittel von der Einkaufsliste. Eine Streichung unfassbaren Ausmaßes erfährt die Liste allerdings, wenn der Der Bernd Ringsdorf von der Der Bernd Ringsdorf Fernuniversität sein Nahrungsmittelverabscheuungskabinett aufführt in dessen Rahmen nicht nur irgendwelche Lebensmittel in die Gechmacksverwandtschaft von erbrochenem Stuhl gerückt werden, nein, denn der Der Bernd Ringsdorf von der Der Bernd Ringsdorf Fernuniversität macht auch vor hausinternen hochheiligsten Lieblingslebensmitteln nicht halt und diffamiert diese und den Kollegengeschmack aufs verwerflichste nur um seine diversen Abneigungen zum Ausruck zu bringen. Oliven, Peperoni, Chili, Sardellen, Kapern, Knoblauch, Lamm, Rote Beete, Schafskäse, überhaupt Käse (außer Baby Babybel, aber dann auch nur in der roten Packung) und Wurst, außer Bärchenwurst. Da bleibt nicht viel übrig. Außer Fisch (finde den Fehler). Abgesehen davon, dass Bernd Ringsdorf ein Gourmet der Extraklasse ist und seine Wochenenden daher in Tonbach, Brüssel, dem Käfers in Wiesbaden oder im Elsass verbringt und wohl weiss, was schmeckt. Und da kann man mir schon glauben. Ich hingegen esse ALLES. Mal von Kohlrabi abgesehen, denn der ist IMMER holzig. Und Staudensellerie ist ein Gemüse aus der Hölle. Naja, Nieren gehen auch gar nicht. Ich glaube da sind wir uns alle einig. So gibt es zum Beispiel bei uns jeden Mittag kein Nieren. Dinge mit Kaffeegechmack, außer Kaffee als solchen (mit laktosefreier Milch), lehne ich ebenso ab (Laktosefreie Milch nicht wegen einer dieser modernen Laktoseunverträglichkeiten, sondern weil ich dem irren Glauben verfallen bin, dass die im Kaffee (und nur da) besser schmeckt). Weiter geht’s mit Schokolade mit Kaffeegeschmack, Mokkalikör, Mokkajoghurt, etc. Grauenhaft. Naja Nudeln sind auch nicht so der Brüller. Nudeln sind was für, wenn einem nichts mehr einfällt. Und Tomatensoße. Wenn gar nichts mehr geht schüttet die Menschheit Tomtensoße über das Essen. Und weil der Fernsehkoch es so schon ca. 2.222x erzählt hat, werden die Tomaten vor dem Passieren auch noch geschält, als sei an Schale irgendetwas auszusetzen. Oder das Entfernen des Inneren von Gurken, auch so eine Sache. Und erzählen was von Acrylamid und wie die Menschheit daran zu Grunde gehen wird obwohl die Menschheit zuvor 25.000 Jahre das Essen über dem Feuer verbrannt hat. Hat es der Menschheit geschadet? Nein. Mein Herz geht immer auf wie eine Schüssel Dampfnudeln, wenn ich im Fernsehen den Lebensmittelchemiker Udo Pollmer die Mythen der Gegenwart zerstören sehe. Wie komme ich jetzt auf Udo Pollmer? Egal.
Oliven, Peperoni, Chili, Sardellen, Kapern, Rote Beete, kein Schafskäse, Käse, Knoblauch, Lamm, Kümmel, Fisch, Sellerie, Kohlrabi, Süßigkeiten (eh nicht), Hackbraten, Kümmelhackbraten, Dinge die andere schon mal angefasst haben, Metzgerfrikadellen, Salzkartoffeln, Zwiebeln, Nieren, Kutteln, Mokkalikör, Hirn, Schweinemett, Stevia-Schokolade, Schafsfleisch an sich, Fettiges, Öliges (wie man sieht) und Käsekrainer (glauben Sie mir) fallen schonmal weg. Also gibt es bei uns jeden Tag Erbsen und Möhren, mit Sättigungsbeilage und selbstgemachtem Hackbraten oder Kassler aus Kassel.
Manches schließt sich eben aus, manches wächst zusammen. Wer eben noch den Hackbraten nicht mochte und das Kassler verachtet hat, empfindet ihn plötzlich als lebensnotwenig. Wir hatten aber auch schonmal Choucroute garnie, was der Kontakter auf den Punkt gekocht und auf den Tisch gestellt hat.Und als Beweis, dass man Dinge aus dem Meer auch selbst zubereiten kann gab es zu Mittag mal Austern und andere Dinge aus dem Meer. Das ist nicht nur Luxus weil es Dinge aus dem Meer sind, sondern weil es Luxus ist, das zu haben und dann auch noch mitten auf dem Konferenztisch einer geschäftigen, menschenverachtenden Firma, die dem Manchester Kapitalismus verpflichtet ist wie der Gehörnte dem Menschenverachten. Wir nehmen uns das raus weil das wichtig ist. Weil das wichtig ist! Weil uns die Kollegen wichtig sind. Wir wären zwei Firmeninhaber mit nichts außer 20 Jahre Erfahrung mit den Gegebenheiten und ein paar Ideen. Quasi sind wir der Ringsdorf und ich Miles Davis und John Coltrane kocht das Essen.
UND SO:
Wichtig ist das Zusammensein zu Tische und das Erleben der Gemeinschaft. Das schweißt uns zusammen, wie einem nichts zusammenschweißen kann außer vielleicht ein gemeinsames Nahtoderlebnis, ein Hackbraten oder eine Heirat in Las Vegas.
Guten Appetit!