Meine Meinung zu meiner Meinung

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huck notes

Hurra, es gibt was Neues zum Reinschreiben von Meinung. Am letzten Donnerstag war’s, glaube ich. Da klappte ich morgens das Macbook Air auf und jeder, der eine richtig wichtige Meinung hatte und sich berufen fühlte, der schrieb das Wort “Google+” in Twitter hinein. Na Prost Mahlzeit, dachte ich. Jetzt hängen die alle den ganzen Tag auf Google+ rum und ärgern uns Mittelspäte Adopter indem sie “Google+” in Twitter reinschreiben. Ich darf gar nicht dran denken. Aber dann hatte ich auch Google+ und dachte “Wow, ich habe ja auch Google+”. Als erstes zieht man alle Leute in seine Kreise (da muss man dabei gewesen sein), die man auch schon von Twitter oder Facebook kennt oder man tut so, als kenne man die Leute schon von LinkedIn, IRC oder vom Chaos Computer Club oder sowas. Die Leute aus Berlin ist auch cool oder von irgendeiner Gefängnisinsel, auf der man mal saß wegen Hackens von Dingen. Als ich dann alle möglichen Leute in meinen Kreisen hatte, da dachte ich, jetzt schreibe ich mal etwas richtig Kluges, denn Google+ ist ja nun TOTAL super und alle die am Donnerstag schon drin waren, sind die Creme Brüllee unter den Internetfuzzies. “Wow!” dachte ich, denn ich war ja auch einer von denen und ich bin es noch. Schon die Typen vom Freitag können eigentlich heim gehen.
Also, was schreibe ich denn jetzt mal?

Ich dachte ein paar Tage nach und als ich gerade was tiefgründiges über meine Gefühle für Google+, oder wie wir Donnerstag-Fuzzies sagen G+, schreiben wollte, passierte folgendes: Dann schrieb nämlich Sascha Lobo, was halbironisches, voll gemeines und achtelbösartiges aus dem hervorging, dass es total peinlich ist, dass man dauernd nur Reflektionen über Google+ schreibt. Das war mir natürlich dann peinlich. Zum Glück habe ich das dann gelesen und sah davon ab, was über Google+ zu schreiben. Man macht sich ja unmöglich. Und gerade als ich was dazu sagen wollte, dass ich es auch total krass finde, dass in Frankreich das Trafohäuschen in einem Atomkraftwerk brennt, während “nebenan” ein paar Typen die Hochzeit von zwei Leuten feiern und die Medien nur über die Hochzeit berichten, es war glaube ich eine Märchenhochzeit, nicht jedoch über das brennende Trafohäuschen, wo doch Fuji… Furu… Fugo… na Dings noch gar nicht richtig zu Ende gebrannt hat. Der Herr, der das veröffentlicht hat, heißt Richard Gutjahr und er führt ein Blog, das glaube ich alle kennen, außer ich jetzt. Ich konnte die Empörung ein bisschen nachvollziehen, fand das aber auch ein bisschen zu… puuh… ja… bemüht die Paniktrommel rührend. Aber vielleicht bin ich ja auch zu unsensibel. Ich habe ja schon 1986 im Fallout von Tschernobyl gestanden und meinen Schlüssel gesucht, der ins Gebüsch gefallen war. Da ändert sich das Gefühl für die Zusammenhänge. Und als ich aber, weil ich auch mal irgendwas sagen wollte, auch mal was sagen wollte, da schrieb ein anderer, dessen Blog ich sehr wohl kenne und seit Jahren schmunzelt lese, Felix Schwenzel, was ganz anderes. Hui, dachte ich. Das hört sich ja noch viel kompromissloser an und dann fand ich das noch viel besser, als die Meinung des Herren zuvor. Also jetzt nicht des Herren an sich, sondern die des Herrn Gutjahr, obwohl ich die ja nicht schlecht fand. Ist ja auch krass wie egal den Menschen immer alles ist. Finde ich wirklich, hört sich jetzt sarkastisch an, vielleicht sogar zynisch, aber es ist noch nicht mal ironisch. Aber der andere Herr, der Herr Schwenzel trifft’s meistens auf den Punkt. Da kann man sich mal eine Scheibe abschneiden von.
Nun, dachte ich, wie soll man da eine Meinung ins Internet schreiben oder gar in dieses formidable Google+ wenn man sich nicht für eine der unzähligen Meinungen entscheiden kann? Für welche Wahrheit soll ich mich bloß entscheiden? Und dann fiel mir auf, dass ich schon seit Jahren keine Blogeinträge geschrieben habe. Gut, neulich lag ich im Krankenhaus, da war ich schlecht gelaunt und musste die Wurst von meinem Zimmernachbarn fotografieren und so tun, als sei das meine Wurst und davor war Weihnachten und davor war ich gelangweilt von mir selbst und von den Umständen. Was soll man denn schreiben, wenn man zurfrieden ist? Zufriedenheit ist wie Wachkoma, nur machen sich die Angehörigen nicht so viele Gedanken. “Der ist ganz zufrieden.” sagen sie dann und sind zufrieden. Neulich hat der Groszkotz zu mir gesagt, dass ihm meine Blogeinträge fehlen würden. Da musste ich ein wenig weinen und habe darüber nachgedacht, was ich mal schreiben könnte und mir fiel auf, ich hätte niemals was schreiben sollen. Das war doch alles nur Meinung. Wissen ist bei mir gar nicht abrufbar, dazu bin ich viel zu dumm, Meinung geht schon. Ging. Vielleicht hat man in jungen Jahren viel mehr Böcke auf Meinung. Im Alter fragt man sich dann: Was mach ich hier eigentlich, ich bin doch viel zu alt. Und dann brät man sich einen Storch oder geht schlafen oder beides.
Nicht, dass mir alles egal ist. Ich freue mich ja auch über den Atomausstieg und ich ärgere mich über den Krieg und den Zynismus und über Roland Koch habe ich mich sehr intensiv geärgert und über Jan Fleischhauer, Richard Williamson, Idi Amin und Paul McCartney. Über Nazis ärgere mich auch jeden Tag, aber was soll man denn da noch schreiben. Wahrscheinlich würde ich auch was schreiben, aber es schreiben doch schon 42 Quadriliarden Menschen was darüber und alleine schon meine 150 Kreisbewohner da/hier auf Google+, die schreiben den ganzen Tag Erkenntnisse hier rein über alles was es gibt. Über Katzen jetzt auch. Aber vor allen Dingen darüber, was andere, deren Meinung noch viel besser und schöner und größer ist, über Google+ denken und es nicht nur gedacht, sondern niedergeschrieben haben. Drum denke ich jetzt ganz intensiv nach, über was ich mal eine Meinung haben könnte. Es müsste etwas sein, über das sich noch kein Mensch je Gedanken gemacht hat. Oder es müsste was sein, was in meiner speziellen Meinungsdarreichung so exorbitant und bizarr ist, dass die Menschheit ausrastet und alle es verlinken. Sogar Johnny Häusler und Udo Vetter. Vielleicht frage ich mal meine komischen Offlinekumpels, was die so den ganzen Tag denken und vor sich hin meinen. Die haben ja noch eine ganz andere Form der Meinung. Die wissen zum Beispiel gar nicht wer Johnny Häusler, Felix Schwenzel und Udo Vetter sind. Sascha Lobo haben sie schonmal im Fernsehen gesehen, als er was über unser Rentensystem gesagt hat. Da waren sie beeindruckt und da habe ich gesagt: “Der hat schonmal da gesessen, wo Ihr gerade sitzt und Rotwein verschüttet und ihr habt kein bisschen Respekt. Macht mein Sofa nicht kaputt. Und jetzt raus, und kauft Euch Computer und geht ins Internet, ich kann Euch nicht mehr sehen. Mich so hinzustellen, als sei ich bekloppt, weil ich ins Internet schreibe. Raus jetzt!”
Ist doch wahr.

Original aus huckbook.tumblr.com / http://huckbook.tumblr.com/post/7236737557/meine-meinung-zu-meiner-meinung

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