Kein Wind weht

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huck notes

(22:37 Uhr) Als säße ich auf der Kante des Bettes und träumte einen ruhigen, wattigen Traum. Was ist geschehen zwischen dem ersten WM-Spiel, das ich sah, an diesem 3. Juli 1974 und dem von heute. Es ist die 37. Minute und es steht 5:0 in der Halbfinal-Begegnung Deutschland gegen Brasilien. Was sich anhört wie einer meiner Vorhersagen, ist irgendwie nun unwirkliche Wirklichkeit. Wir sitzen da, die Frau und ich, neben mir die mit Eiswürfeln, Mineralwasser und Sprite Zero gefüllte Ruhrschüssel, die nur unmerklich schwappt, wenn ich daraus trinke, wie so ein Schwein. Ich sehe diese Einblendung, dieses Ding. Dieses Ufo, das auf der Erde gelandet ist und honigwabernde Brasilianer und diese Totenstille im Stadion, aus denen heraus langsam aufmunternde Schreie in die Ruhe dringen. Oscar vor dem deutschen Tor. Es ist als wäre alles ohne Hoffnung und ohne Rumms. Es ist seit Minuten wie in der 92. Minute. Aber es ist kurz vor der Halbzeitpause. Was soll nur passieren. Was soll nur werden mit den brasilianischen Hoffnungen? Die Zeit ist wie Kaugummi. Als wäre noch nie ein Spiel passiert. Als wäre das der Anfang von allem. Wie wenn Frieden wäre. Irgendwie. Und dann kommt nebenher und auch in Israel die Kriegsmaschinerie in Fahrt. Als wäre nichts. Als sei alles viel weiter weg als der Mond. Wir sitzen da. Wir rätseln. Wir schweigen. Die Tastatur vom Macbook klimpert eifrig. Meine Hände, taub von der Krankheit, suchen Buchstaben. Jetzt redet Merkel. Ich gehe aufs Klo. (22:55 Uhr)

@Videopunk schreibt, „Ach wenn man doch Tore gegen Frieden eintauschen könnte…“. Ja. Ja, ja. Das ist wohl so.

(23:18 Uhr) Klose ist raus und trinkt was. Viele Menschen sind inzwischen im Supermarkt. Ich weiß bis heute nicht, ob es Einfaltspinsel oder Einfallspinsel heißt. Ich überlege mir, dass es okay ist, wenn wir hier und da Fußball schauen obgleich zeitgleich Krieg & Seuche herrschen. Es ist nicht alles eins. Es sind so viele Welten. Es steht nie alles still. Ich arbeite ja auch, liebe Menschen, esse Kirschkuchen, lache… während des Krieges. Ihr Dummköpfe. Ihr sinn- und zwecklosen Dummköpfe, in Ereiferung erstarrend. Mir wird schlecht bei diesem Geschwätz. Geh raus und knick ein Ästchen im Weltgefüge um oder schweig. Es steht 6:0. Schürrle Fußballgott. 7:0 Schürrle. (23:34 Uhr)

Wir sind ein komisches Land. Statt im Staub zu stehen und zu dürsten, statt im Bombenhagel blutend dazuliegen, sitzen wir hier mit Chips und Sojawürstchen vor dem Flachbildschirm und jammern. Jammern. Die Brasilianer schießen das 1:7. Es ist alles geschossen und alles gesagt auf der Welt. An diesem seltsamen, unwirklichen Abend. Wie ist Fußball jetzt? Wir sitzen still und starren auf den Fernseher. Ein schmaler Grad zur Gönnerhaftigkeit und so, als wenn man alles hat und nichts mehr braucht. (23:52 Uhr)

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