Stø

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huck notes

Es entsteht der Bedarf nach Rausch. Nach Besoffensein. Nach Sich-nicht-mehr-erinnern-wollen-und-können-am-nächsten-Morgen. Nach heillos durcheinanderplappern. Nach Luftgitarre spielen. Nach über gar nichts nachzudenken. Eine Wohltat. Mit zunehmendem Alter sollte zwar eventuell der Bedarf (nach Rausch) nachlassen, denn irgendwann wird es unangenehm, dann sieht es auch scheiße aus. Noch nicht unbedingt, wenn man gleich nach der Schule mit Leuten auf einer Bank sitzt und Schnaps trinkt oder Lambrusco vom Silvestro, die 2-Liter-Flasche für 7 Mark. Schon auch, aber es ist auch ein bisschen Rock’n Roll. Es ist erbärmlich ab so ungefähr 35. Na ja, eigentlich ja schon ab 25. Je nach Stilgruppe. Was für ein Leben. Ich denke manchmal darüber nach. Meistens aber über was anderes. Die Leute sagen: „Denk nicht soviel nach!“. Das finde ich sehr interessant. Ich denke sehr viel nach. Es kommt einfach so. Es liegt an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am Gehirn. Ein Gehirn denkt einfach so vor sich hin. Jedenfalls meins. Je nach Güteklasse des Gehirns denkt man wahrscheinlich mehr oder weniger. Dass man gar nicht nachdenkt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich habe oft gehört, dass es so etwas gibt, aber es ist mir zu abstrakt. Ich kann nicht nicht nachdenken. Aber ich wünsche es mir oft. Vieles wäre dann einfacher. Man käme eventuell besser zurecht in einer komplizierten Welt. Oder eventuell auch nicht. Ich weiß es eventuell nicht.

Jedoch: Hat man sich mal entschieden, sich seltener einen Rausch anzueignen, und verspürt nach einem Rausch obendrein tagelange Illness, so muss man zwangsläufig mehr nachdenken. Zum Beispiel jetzt gerade, während ich das schreibe, denke ich darüber nach, ob ich wohl meine Katze, hätte ich eine Katze, auch pausenlos im Internet präsentieren würde. Es ist nicht auszuschließen, dass wir hier zuhause eines Tages eine Katze haben werden. Es ist davon auszugehen, dass „die Frau“ gerne eine Katze haben möchte. Eines Tages. Aber, würde ich dann diese Katze dauernd fotografieren? Oder würde ich Katzen nach wie vor so doof finden wie jetzt? Oder ist das wie mit einem (eigenen) Kind, das man dann bedingungslos liebt? So jedenfalls will es mir der Volksmund weismachen. Ich hätte zum Beispiel Angst, dass ausgerechnet ich der caligulahafte Typ wäre, der sein eigenes Kind verachtet, wenn es so wäre, wie die meisten Kinder zu sein scheinen. Das möchte ich dem Kind nicht antun. Eventuell ist das ganz nett von mir. Na ja, jedenfalls denke ich also viel nach und obwohl ich mir das nicht ausgesucht habe, finde ich es auch irgendwie gut. Man gewöhnt sich halt dran. Es gehört halt zu einem. Nach der Katzensache denke ich nun über Bleiwüsten nach. Ich weiß eigentlich gar nicht, was das sein soll oder was daran schlecht sein soll. Ich akzeptiere „sehr“ viel. Und ich will lernen noch viel mehr zu akzeptieren. Was soll daran schlecht sein?

Also! Jetzt ist es ja so, dass ich 50 Jahre alt bin und nur noch selten den Bedarf nach Rausch verspüre. Immer ist was. Man muss Auto fahren oder die Leute sind doof oder man darf nicht rauchen, da wo man sich besaufen möchte oder man wollte morgen mit der Frau irgendwohin fahren. Aber wohin? Immer ist was. Und aber dann kommt der Tag, an dem zum Beispiel der Piotr anruft oder der Fredderick vorbeikommt, und dann muss man sich besaufen. Da ich nicht gerne Bier trinke und eigentlich auch die meisten alkoholischen Getränke ohne Cola (Zero) ablehne, trinke ich alles mit Cola (Zero). Apfelwein, Rotwein, Whisky, Korn. Dann kann man gar nicht so schnell hinschauen, wie schnell ich trinke. Ein weiteres Phänomen begleitet dieses gierige Saufen von Alkoholika mit Cola (Zero): Ich rauche dann wie ein Schlot. Früher habe ich immer Ernte 23 geraucht. Heutzutage sind es eher diese Indianerzigaretten, die auch der Helmo raucht. Ich muss dann rauchen. Wenn ich dann nicht rauchen kann, macht es auch keinen Sinn. Ich rauche sonst nie. Es ist scheußlich. Aber wenn ich auch nur ein Glas gefüllt mit Alkohol (und Cola (Zero)) vor mir stehen habe, muss ich rauchen. Ich muss schon rauchen, bevor das Glas mit Alkohol überhaupt die Lippen berührt hat. Das ist kurios. Warum ist das so? Wahrscheinlich bin ich im Herzen ein starker Raucher im Körper eines Nichtrauchers mit dem Gehirn eines geschmacklosen Monsters, das Alkohol mit Cola (Zero) säuft. Was soll ich nur tun? Hilfe! So helfen Sie mir doch! Und das Beste ist ja, dass ich inzwischen am liebsten Stø trinke, wenn ich Alkohol trinken und rauchen muss. Stø ist eine Erfindung. Stø gibt es überhaupt nicht. Ich trinke gerne Stø. Stø besteht aus Korn, Cola (Zero) und Zitronensaft aus Plastikzitronen. Es schmeckt wie Cola (Zero) mit Zitronensaft aus Plastikzitronen. Also schmeckt es gut. Was man so sagt. Und dann haben wir das ein bisschen bekannt gemacht.

Und eines Tages kamen die Leute zu unseren Partys und soffen das Zeug wie Rotbäckchensaft oder Almdudler und dann lagen sie auf dem Boden und wurden abgeleckt oder hatten Geschlechtsverkehr (auf den Toiletten). Es war wie ein Wunder. Es war ein bisschen wie bei Jean-Baptiste Grenouille. Die Leute sind ausgerastet und sie haben das auf Twitter verkündet, dass sie gerade Geschlechtsverkehr (auf den Toiletten) haben und dass sie den Verstand verloren hätten. Stø war auf einmal in einer gewissen Weise berühmt. Nicht so berühmt wie David Beckham oder Neil Young, aber vielleicht ein bisschen berühmt, wie die Dorfschönheit in der Lüneburger Heide oder wie Gudrun Gut. Stø war ein bisschen wie das Eisengrau in der Goltzstraße in Berlin-Schöneberg. Ach, das ist vermessen, aber es stimmt auch ein bisschen. Wir tranken Stø wie die Schwämme in der Mittagssonne des 21. Juli 1964 auf dem Piz Perdú. Ich sang jedes Lied mit, das im Rahmen dieser Besäufnisbrimborien gespielt wurde. Jeden Text konnte ich auswendig und ich konnte zu jedem Lied exakt Luftgitarre oder Schreibtischklavier spielen. Als wäre ich nicht mehr ganz sauber. Und das war ich auch nicht. Das alles hat mit Schnaps zu tun, mit später, nochmal aufgewärmter Jugend, mit CTRL-Verlust. Damit, dass man nie sagen kann, es ist zu Ende und man hat jetzt alles erlebt. Der Rausch ist wie ein weiches Bett. Man kann sich fallen lassen. Und nächsten Morgen hat man wieder alles vergessen und kann es immer wieder neu erleben. Wieder und wieder. Und manchmal lauert das Monster* (* Tom Wolfe). Was habe ich getan? Warum singe ich Lieder in einer Sprache, deren ich nicht habhaft bin, Lieder deren Texte ich nicht kenne? Warum singe ich, wo doch der Sänger singen sollte und nicht ich? Vielleicht sollte jeder singen, aber nicht ich. Aber so ist das. So soll das sein.

Und dann fährst du zum Beispiel damals™ mit deinem alten Mitsubishi Lancer an eBay vorbei. Jedes zweite Wochenende fährst du nach Berlin, weil du nach all den Jahren doch wieder diese Liebe zur kaputten Stadt in dir findest und du weißt gar nicht woher das kommt und wo das hin soll. Du kaufst einen letzten Kaffee bei McDonald‘s, 60 Rote-Armee-eske Kilometer vor Berlin und dann stehst du im Stau und musst schon wieder aufs Klo. Du hörst die Lieder vom iPod. Was ist das für 1 Playlist, fragst du dich. Das musst du ändern, nimmst du dir vor, und dann stehst du im Stau und liest direct messages auf Twitter und wo du heute Abend hingehst, weil dir das die Leute sagen, die du gar nicht kennst. Und dann fährst du ins Hotel und schmeißt deine Kleidung aufs Bett, ziehst dich um und ziehst dich aus, ziehst dich wieder an, sitzt auf der Bettkante und schaust aufs Device und auf die Uhr und wann ist es endlich so weit? Bestellst ein Taxi bei Würfelfunk. Würfelfunk gab es früher nicht. Die Zeiten werden besser. Nicht schlechter. Der Würfelfunk sagt, das Taxi ist da. Durch die Stadt, irgendwie immer an der Friedrichstraße vorbei. Immer durch die Mitte. Immer diesen Weg. Durch diese Scheißstadt. Du denkst, da willst du doch nicht mehr hin, hier in den Dreck, bist nur zu Besuch. Ist vernünftiger. Ist besser so, wie es ist. Hier bist du nicht zuhause. Hier geht es lang. Leute auf Rennrädern, mit denen du nicht in einer Stadt leben willst. Doch nicht. Geht doch nicht. Blick aufs Device, wer schon da ist. Wer fragt, wann du da bist. Blick aus dem Fenster. Arschlöcher. Blick aufs Taxameter. Wir haben nichts zu verlieren, außer unsere Angst. Zigaretten musst du kaufen. Für diesen Abend bist du ein Säufer. Ein Säufer. Definition. Gedanken wegschieben. Raus, Kippen kaufen. Rein. Weiter Blick ins Device. Blick aus dem Fenster. Arschlöcher. Da. Rein. Niemanden erkennen, wegen der Fun-Prosopagnosie. Du kennst Schlenzie. Der lebt jetzt leider nicht mehr. Das war früher besser, dass er noch lebte. Wirst du dir denken, aber nicht jetzt, denn jetzt lebt er. Der Bedienung Stø erklären. Stø gebracht bekommen. Gleich die ganze Flasche Korn kaufen, gleich eine Kippe anstecken, gleich Cola (Zero) rein und Zitronensaft. Keinen Gefallen tun einem die Leute, wenn sie gut gemeint frischen Zitronensaft servieren. Zum Stø. Der gehört da nicht rein. Die Bude wird voller. Der Weg aufs Klo weiter. Enger. Beengter. Jetzt schnell betrunken sein, dass es egal ist. Dass die Gesichter sich nicht formen, von den Typen am Nachbartisch. Dass das Angestarrtwerden egal ist. Dass du den Scheiß, den die Arschlöcher sich erzählen, nicht mehr hörst. Weil du ja immer alles hören kannst, weil du das nicht einfach so abschalten kannst. Wie am Meer wohnen und aber das Rauschen nicht ertragen können. Tinnitus. Stø nachkippen. Sich von Twitter erzählen. Wie das war bei Dada und wie das jetzt ist. Nicht wissen, was jetzt ist. Nicht wissen, was in 10 Jahren ist. Nicht wissen wollen, was in 10 Jahren ist. Nichts vorhaben, noch nicht mal Kunst. Sind viele Leute gekommen. Wen müsste ich kennen, wen kann ich nicht kennen? Ist es okay, Leute die man nicht kennt, nicht zu erkennen? Die Stühle werden knapp. Leute starren mich an. Leute stellen Fragen. Leute zeigen mir Youtube-Videos von mir, wie ich orangene Lebensmittel esse. Leute sagen Tweets auf, die ich mal geschrieben habe. Leute, die mein Blog kennen. Leute, die Leute kennen, die ich mal gekannt habe. Stø. Jemand kommt mit einem Stijlroyal-Magazin an und möchte, dass ich es signiere. Ich weiß nicht. Was ist das für 1 interessantes Life. Konglomerat aus Stimmen. Sage: Ja! Schreie. Gebe Runden aus. Lasse es kosten. Erkläre, dass „es“ egal sei. Und wie das früher war. Als man noch Braunkohle mit ins M gebracht hat, damit es dort warm ist. Wie es noch Schöneberg war und Kreuzberg und nicht Prenzlauer Berg und Mitte. Wie das 1990 war im Prenzlauer Berg, als man Kohle mitbringen musste, zu dem Typ in der Dyke-Straße, damit man den Ofen im Bad anheizen konnte, wenn man dort heiß duschen wollte. Wie man immer Kohle überall hinbringen musste. Wie das war 1985, als man den Müll aus der Wohnung in der Waldemar rüber in die DDR geworfen hat und wie der Fernseher aber auf der Mauer zerschellte, weil man den auch nicht mit Schwung über die Mauer werfen konnte. Wie es nach Braunkohle roch und auch so aussah. Wie immer Winter war und Herbst. Und kalt. Und es noch kein Stø gab, aber Wein und Bier und dieses Gefühl in Berlin, das es nie wieder gibt und nirgendwo sonst war. Wie man Westdeutscher war und das der Makel. Wie man nicht daran dachte, dass man 30 Jahre später an einem Apple-Computer sitzen würde und nicht mehr richtig gehen kann. Oder, dass man 24 Jahre später dasitzen würde, in Ostberlin, und mit Leuten redet, die man aus dem Internet kennt und sonst so gar nicht. Gar nicht. Keine Rede von Vertrauen. Dass man mit solchen Leuten dasitzen würde. Dass man mal den red dot best of the best-Award gewinnen würde. Dass man mal gerne arbeiten gehen würde. In seiner eigenen Firma. Dass man seinen Frieden macht und dass immer Krieg herrscht innen drin. Wie damals. Dass das nie aufhört. Dass man denkt, das hört bestimmt eines Tages auf, und wie man zusammenzuckt bei dem Gedanken, dass es ja nie aufgehört hat. Dass man das erschütternd findet und aber dann gleich wieder vergessen möchte. Dass man 30 Jahre später immer noch denkt: „Das hört bestimmt mal auf.“ Es muss doch aufhören. Dieses Zerren, dieses Geschrei, dieses was man Angst nennt, doch es ist keine Angst, es ist der Krieg in dir drin. Und dass das nie aufgehört hat und dass daran auch Gutes ist, weil du ja sonst nicht der wärst, der du bist. Und wie du das niemandem erklären kannst und, dass es trotzdem okay ist, weil es viel schlimmer sein könnte. Nämlich, wenn du nicht du wärst. Das du die Frau liebevoll anschaust und froh bist, dass sie da ist. Dass du das nicht gedacht hast 1985, dass das mal so sein würde. Dass es mal anders sein würde, als wie die Achtzigerjahre waren, die ja damals gar keine Achtzigerjahre waren. Es war nur einfach jetzt. Und jetzt sitzt du da, in dieser Bar mit den Sofas und den Krügen voller Rotwein, den dir die Leute hingestellt haben, wie so einem King von irgendwas und nur du weißt, lachend, dass du dieser King gar nicht bist, aber du verrätst es nicht, sagst du dir. Sollen sie doch denken, dass du der King bist. Ach, wenn es doch nie aufhören würde, dass du der King bist. Geklapper. Das internationale Geräusch eines Stuhles, der über den Boden gagst. Tumult. Alle sind da.

Blackout. Kater. Chips im Bett. Sich im Hotel 90 Minuten lang den Lieferservice aussuchen, der es sein kann, der dann aber erst um fünf aufmacht. Einen anderen nehmen, der auch Süßigkeiten hat und Wasser. Gar nicht so leicht, einen Lieferservice zu finden, der Mineralwasser hat. Die Moderne kann nicht alles. Hose schon eine halbe Stunde vorher anziehen, bevor der Lieferservice kommt. Aufgeregt sein, weil, es kann ja so viel schiefgehen. Klopfen hören, zur Tür gehen. Essen bezahlen. Essen um sich herumstellen. Fernsehen an. Essen. Fernsehen ist gut. Essen ist gut. Irgendwo hin schalten, wo es um Sibirien geht oder Alaska oder Norwegen oder Island. Über Herzinfarkt nachdenken. Sind es die 40 Zigaretten oder der eine Liter Schnaps und die zwei Liter Rotwein? Was es ist. Frau anrufen. Was es ist. Was Liebe ist. Was vermissen ist. Was großgeschrieben werden müsste. Es nicht mehr durchlesen, was mal dasteht. Es Abend werden lassen. Nicht rangehen. Nicht mehr rausgehen. Einfach nicht mehr kommen. Frau anrufen. Was es ist. Was Liebe ist. Es ohne den Schnaps nicht machen wollen. Nacht werden lassen. Nicht schlafen können. Denken, dass es wie tot sein ist, wenn du acht Stunden daliegst und dich nicht regst. Sich vornehmen, nicht einzuschlafen, weil alles so zäh ist. Angst. Panik. Bloß nicht daliegen wie tot. Sich vornehmen, nicht zu schlafen. Wie früher. Und dann doch immer einschlafen und dann doch immer aufwachen. Der Himmel beleuchtet die Unendlichkeit* (* Rio Reiser). Sich vorzunehmen, ja nach einer Stunde ohnehin wieder aufzuwachen. Einschlafen. 5:34 Uhr nicht mehr schlafen können. Zusammenpacken. Unter dem Bett nachschauen, ob da noch was liegt. Hündchen eingepackt. Raus, runter. Warten, zahlen, Auto, Tür zu, Gurt. Klick. Playlist. Raus. Nur raus. Bei Burger King, Spanische Allee: Kaffee. Tankstelle. Tanken. Pfanner Eistee Limone/Kaktusfeige. Cola (Zero). Wasser. Schon wieder müssen. Losfahren. Playlist. Froh sein, weg zu sein. Fahren. Rausch. Weg. Frau vermissen. Frau anrufen. 7:12 Uhr. Freak Out. Wie es ist. Wie Liebe ist. Sich vornehmen, „erst mal“ keinen Alkohol mehr zu trinken. Singen. Rabenstein/Fläming. Cut.

Wie sich das verliert, dass man sich verlieren will. Wie das ist, wenn die Kinder um 5:45 Uhr reinkommen und auf dem Bett und den Nerven tanzen. Wie ich immer denke, du musst morgen funktionieren, und wie ich dann viel disziplinierter bin, als ich und die denken. Wie ich mich gar nicht mehr einfach „doch mal locker“ machen kann. Wie ich das weiß. Wenn ich was weiß? Dann das. Wie es irgendwann keinen Spaß mehr gemacht hat. Wie Freunde zerfielen. Freundschaften zerfielen, die es nie waren. Wie viele Menschen gibt es, die du nüchtern ertragen kannst? Wie der Rausch zerfällt. Wie nichts mehr vom Rausch übrig bleibt. Wie der Rausch zu dem wird, was er war. Wie der Rausch sich selbst in Frage gestellt und zerstört hat. Phantasmagoria im Kopf. Sich unter einen Baum setzen. Einfach nur davon träumen, sich unter einen Baum zu setzen, reicht manchmal. Tu dies. Tu jenes. Dann sind wir Helden für einen Tag* (David Bowie). Mir reicht es, einen Baum zu kennen, unter den ich mich setzen könnte. Nichts ist in echt so schön wie in Gedanken.

Ich wollte mal meine Nikon F301 an einer Tankstelle kurz hinter der Zonengrenze als Pfand hinterlassen, weil wir kein Benzin mehr hatten. Das haben die aber nicht gemacht. Ein Mann aus Somalia, der nach Frankfurt trampen wollte, hat uns dann das Geld geliehen. Also sind wir dann nach Wiesbaden gefahren, zur Nassauischen Sparkasse in der Bahnhofstraße. Ich hatte so gehofft, dass Geld auf dem Konto ist und dass ich bei dem Mann dann meine Schulden begleichen kann. Ich hatte keine EC-Karte. Nur so eine Bankkarte. Ich konnte Geld nur an den Bankautomaten der Nassauischen Sparkasse abheben. Es gab kein Online-Banking, noch nicht mal BTX und schon gar nicht unterwegs. Ich stellte mir vor, wie es wäre, dem tapferen Mann zu sagen, dass ich doch kein Geld hätte und wo ich welches besorgen könnte. Wie ich ihm das erkläre, auf Englisch. Ob er dafür Verständnis gehabt hätte. Ich hatte aber Geld. Dann fuhren wir ihn nach Frankfurt. Dankbar. Für vieles.

Heute weiß ich, dass es gut war, dass ich damals nie genug Geld hatte. Was das aus einem gemacht hat. Wozu das gut war. Den Wunsch möglichst lange aufrecht halten. Nur das ist Glück, weiß ich heute. Wie Liebe nicht verliebt sein ist. Wie meine Uroma nur zufrieden, doch nie glücklich war. Wie man Glück nicht anstrebt, wenn man zufrieden ist. Zufriedenheit ist nichts. Glück ist alles. Sagen die Leute. Glück ist wie Panik. Wie verliebt sein. Wie Rastlosigkeit. Wie der Rausch, der für nichts mehr gut ist, wenn ich mir vorstellen kann, unter einem Baum zu sitzen, und das dann besser ist, als unter einem Baum zu sitzen, was soll ich mir dann noch kaufen, was soll ich mir dann noch wünschen? Mehr als das. Das ist das Leben, was sich im Kopf abspielt. Jede Depression ist schlimmer als Hunger, als Kopfschmerz, als verprügelt zu werden.

Neulich sagte mir jemand, dass er den Stø ganz groß rausbringen könne. Abfüllen, in die Läden stellen, in die Tankstellen. Ich stellte mir vor, wie die jungen Hunde sich Stø holen und dann mit ihren 5er BMWs, die sie kaum abbezahlen können, die Straße runterfahren und sich und andere totfahren. Wie die Typen im Tengelmann stehen und sich hinterher Stø reinschütten. So wie ich damals. Wie sie dann durch die Fußgängerzone ziehen und an Zäunen rütteln. Nicht so wie wir früher, nicht mit Sanftmut, sondern mit Absichten. Wie ich nicht der sein will, der ihnen das gemacht hat. Also wird es das nicht geben. Nicht mit mir. Ich will daran nicht schuld sein. Ich will nicht wissen, was ich verändert habe. Ich will nicht eingreifen. Ich will nichts machen. Ich will einfach nur dasitzen und nichts machen und arbeiten. Und die Frau anschauen.

Irgendwann, wenn du einen Text schreibst, denkst du darüber nach, wer ihn liest. Dann hättest du ihn besser erst gar nicht geschrieben, aber jetzt ist es zu spät. Jetzt hast du ihn geschrieben. Jetzt steht er da.

 

 

 

 

Foto Englisches Frühstück: © Joe Gough – fotolia.com
Kopf im Frühstück: © durantelallera – fotolia.com

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