you did – tag 183

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huck flash

Aber jetzt mal zu was gänzlich anderem: Heute wohnte ich eine Beisetzung bei. Judith hat es nicht geschafft, der Krebs hat leider gewonnen. Der Krebs ist eine dumme Sau.

Judith war eine Blume und sie hätte sie gut und gerne noch viele Jahre auf der Erde wachsen und gedeihen können. In meiner eher unsäglichen Zeit in dem seltsamen Ort Nieder-Olm war sie quasi meine Nachbarin. Da ich damals kein kein Auto besaß, nicht verheiratet war, keine Kinder hatte und aber dafür rote Haare auf meinem Kopf wohnen hatte, galt ich in Nieder-Olm als arme Sau und natürlich verrückt. Es war nicht leicht und vielleicht keine gute Idee damals straight outta Berlin-Kreuzberg nach Nieder-Olm zu ziehen. Aber dann war ich nun mal da, hatte meine Wohnung in Berlin vermietet und musste jetzt dort also klar kommen. Es war sehr traurig und auch ein bisschen hoffnungslos. So saß ich zuhause am Schreibtisch und betrachtete den Flieder und den wilden Wein, der sich um das kleine Häuschen rankte, in dem ich wohnte. Und weil das auf Dauer rammdösig macht, besuchte manchmal ich Judith und ihre Familie und kam mir vor, wie der Onkel August von Nieder-Olm. Auf dem Weg zum Haus von Judith und ihren Kindern Larissa und Kaspar war die Bäckerei ⬛︎⬛︎⬛︎⬛︎⬛︎. Immer, immer, immer, immer wenn ich den Laden betrat, standen dort Frauen und meckerten über die Welt und andere Nieder-Olmer und Ober-Olmer und Mainzer und die da oben und die da unten und Ausländer, etc. p.p. Die einzige, die dort, bei der Bäckerei ⬛︎⬛︎⬛︎⬛︎⬛︎ guter Dinge war, war eine junge Frau, die wir die Sabrina Setlur von Nieder-Olm nannten, weil, sie Sie werden es nie erraten, so aussah wie Sabrina Setlur. Die Sabrina Setlur von Nieder-Olm hatte es nicht leicht, denn im Gegensatz zu den meckernden Planschkühen vor und hinter der Theke, sah die Sabrina Setlur von Nieder-Olm sehr gut aus. Das ist eigentlich egal, also wie sie aussah, ich erwähne das nur, weil das ja nun ein Teil des Hasses der Planschkühe auf die Sabrina Setlur von Nieder-Olm war. Und weil ich mich mit der Sabrina Setlur von Nieder-Olm gemein machte, war auch ich unten durch, bei den Planschkühen (vor und hinter der Theke), was ich aber sowieso war, denn ich fuhr keinen BMW und war ja (bekanntlich) eine arme Sau (und verrückt). Jedenfalls ging ich regelmäßig allein deswegen zu dieser Bäckerei, weil es dort diese wundervollen, sogenannten Nieder-Olmer Hörnchen gab. Das Gemecker und Gezeter der Planschkühe machte mich indes so niedergeschlagen, dass ich anschließend noch das Haus der Judith aufsuchte. Das Tor war immer auf und Judith war immer angezogen, so wie ich angezogen wäre, wenn ich plötzlichen Besuch empfangen würde. Also natürlich war ich niemals so angezogen wie Judith, denn das sähe ja auch albern aus, aber ich meine halt angezogen, so mit Hose und Bluse und/oder Kleid und so weiter, Sie wissen genau was ich meine. Halten Sie bitte die Klappe. Judith machte mir also (angezogen) die Tür auf und obgleich das Leben nicht immer einfach war, war Judith immer herzlich und gut gelaunt und offen und freundlich und irgendwie so, wie man sich ein Engel vorstellt. Also, so wie, wenn Michael Landon eine Frau gewesen wäre. Und wenn man das Licht ausmachte, dann leuchtete Judith sogar ein bisschen. Ja, es kann gut sein, dass ich das jetzt verkläre, aber ich will, dass es so war. Und Judith brachte ihre drei Kinder durch und die Kinder hatten verrückte Frisuren und/oder gingen zum Studium nach Wien. So was ging, weil Judith stets das Beste für die wollte. Bei Judith in der Küche konnte man dieses seltsame Kaff Nieder-Olm vergessen, denn sie war komplett anders, als alle anderen Menschen, denen ich dort so begegnete.

Und dann bimmelte der Krebs an der Tür.

Und heute wurde sie im Friedwald, bei mir um die Ecke, beigesetzt. Ich habe Judith Jahre nicht mehr gesehen. Immer ist ja was und man „müsste sich ja mal treffen“ und aber „wir haben ja Zeit, das kann man ja mal nachholen“. Kann man manchmal aber nicht. Man muss daher unbedingt die Dinge tun, die man sich vornimmt, bevor es zu spät ist.

Heute war ein schöner Tag. Die Sonne schien bei 32°C und im Wald, dort wo die Zeremonie war, wehte ein laues Lüftchen. Da ich ja bekanntlich nicht laufen kann, wuchtete ich das Elektrodings ins Auto und fuhr zum Friedwald. Dort wuchtete ich das Elektrodings wieder aus dem Auto und fuhr zum Ort der Zeremonie. Dort standen schon alle im Halbkreis um einen Baum, niemand sprach ein Wort, die Leute sahen aber auch nicht besonders ergriffen aus, außer Dietmar, ihr Lebensgefährte, der war natürlich sehr traurig. Jaman, das ist ja auch alles schlimm. Aber wir hatten uns glaube ich auch nichts zu sagen. Das ist nach so vieken Jahren manchmal so. Alle anderen Menschen kannte ich nicht. Der Zeremonienmann, ein katholischer Pfarrer erklärte, warum er jetzt keine für ihn übliche Grabesrede halten würde, weil man ihn u.a. gebeten hatte keine der üblichen Phrasen zu dreschen. Und so war es wenigstens ein bisschen so, wie Judith das gefallen hätte. Jedenfalls nehme ich das an. Wenn man sich, wie ich manchmal, nicht immer und stringgend an Logik und Physik orientiert, kann man sich mit Leute, die gestorben sind, unterhalten. Ich räume gerne ein, dass es sich dabei auch um die Stimmen in meinem Kopf handeln könnte, aber das ist ja im Prinzip auch egal, denn Kommunikation funktioniert ja ohnehin nur in den jeweiligen Köpfen. Es gibt keine Wahrheit. Jedenfalls blinzelte ich in die Sonne und schaute mir den Wald und die Wipfel an und fand, dass es aussah wie im Frühling und auch sonst war der Wald ganz wundervoll. Der Wald und die Bäume sind Freunde und freundliche Wesen. So wie Judith es war. Und wie Judith es auch immer noch sein wird.

Wir haben es in der Hand.

Tschüss, liebe Judith <3

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