Das Gute im Guten – Tag 088

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huck flash

Wir sind woanders. Im Hunsrück. Es ist so schön anzuschauen, wie die Sonne runtergeht und aber auch, wenn sie wieder raufgeht. Den Sonnenraufgang finde ich persönlich noch besser. Dass er einen nicht so guten Ruf hat, liegt u.a. daran, dass beim Sonnenuntergang die ganzen Schluries schon wach sind und nicht erst den Wecker stellen müssen. Denn früh aufstehen ist ja uncool und tut weh. Arschlöcher! Da wo ich aufgewachsen bin, galten Frühaufsteher als Deppen, denen man am besten auf’s Maul haut. Leute, die pünktlich an einem Treffpunkt erschienen, wurden schallend ausgelacht von den Leuten, die 35 Minuten später am Horizont erschienen. Wer nicht rauchte, war schwul. Wer nicht beim sinnlos auf der Straße Rumstehen unablässig auf den Boden rotzte: schwul. Sowas halt. Als schwul zu gelten, empfanden viele als noch schlimmer, als einen in die Fresse zu bekommen. Das heißt, man war umringt von Idioten und wollte da weg. Daher träumte ich früher tagein/tagaus, dass ich eines Tages mit einem selbstgebauten Floß den Mississippi (Rhein) runterfahren werde. Nach Köln, dann nach Rotterdam und über das Meer in ein anderes Land.

Goodbye Johnny.

Also überzeugte ich Carsten, Peter und Andi dazu, so ein Floß zu bauen. „Und was machen wir dann damit?“, wollte Peter wissen. „Das tut nichts zur Sache“, dachte ich. Wir zerrten also mehrere Wochen Treibholz und umgefallene Bäumchen am Rheinufer durch die Gegend und knottelten sie mit Springseilen, Wäscheleinen, Bindfäden, Draht und von eigenem, kostbaren und gleichsam rarem Geld erworbenen Schnüren und Stricken zusammen. Der einzige von uns, der wirklich dachte, eines Tages mit diesem Haufen Schrott irgendwohin gondeln zu können, war ich. Dass das Ding nicht einen Zentimeter Richtung Wasser zu bewegen war, stand auch noch auf einem ganz anderen Blatt. Ein Blatt, das ich nicht sehen wollte. Und so gingen die Wochen ins Land, bis plötzlich eines Tages die Sommerferien ausbrachen. Es fing umgehend an, zu regnen und es regnete und regnete. Es war nichts zu machen, man konnte das Haus nicht verlassen, und wenn dann mit einem Schirm, mit diesem erwischt, man aber auch stante pede auf’s Maul bekommen hätte … oder schwul. Oder beides. Meistens beides. Aber eines Tages, also nach ca. einer Woche, es war so gegen 5 Uhr, da fiel mir plötzlich das (sogenannte) Floß ein, das unten zwischen Wiesbaden-Schierstein und Walluf, parallel zu den Storchenwiesen, auf dem sandigen Flußbettrand lag, der zu Tage trat, da es seit Ostern kaum noch regnete. Aber jetzt regnete es. Ich zog mich rasch an, rannte runter und suchte mein Fahrrad, fand aber nur das Fahrradschloss hinten an den Briefkästen. Auch das noch. Fahrrad geklaut bekommen. Aber keine Zeit für Trauer, was ist schon ein Fahrrad, wenn man unten am Rhein ein Floß für die Freiheit liegen hat … ich rannte los. Die Straße hinter, die Bert-Brecht-Straße runter bis zum Haus der extrem braun gebrannten Eltern des Tennisspastikers, an den Hühnern vorbei, die kleine Freudenberger runter und dann im Zick Zack durch die Felder bis zum Bahndamm, bei der Zehntenhof-Siedlung über die Brücke und Augen zu und durch die Siedlung, in der Hoffnung, dass die Spezialisten um diese Zeit noch schliefen, dann über die Rheingauer, an den Störchen vorbei und hinter dem Hafenbecken rüber zum Beginn der Niederwallufer Bucht. Dort soll es liegen. Dort muss es liegen. Wenn es da jetzt nicht mehr liegt .… Ich geriet in Panik. Und dann, ich stapfte sumpfige Wiesen entlang und dachte an Moorleichen, stand ich da, wo vor 2 Wochen noch unbeweglich das Floß lag und ich war alleine. Das Floß war weg. Natürlich war es weg. Andererseits, fiel mir ein, ist das der Beweis, dass es funktionierte. Aber was half es. Es war weg. Ich fing an zu heulen. Das war meine letzte Chance gewesen, dachte ich, ich werde nie hier fortkommen, war ich mir sicher. Was natürlich Unsinn war. Aber in diesem Moment wollte ich, dass es aussichtslos war. Ich wollte bockig sein. Klatschnass trat ich den Heimweg an. Und oben am Hafen, wo es zum Kanuclub ging, lag ein Fahrrad, ein Rennrad der Marke Rixe, auf der Wiese. Es war nicht angeschlossen, lag dort wie weggeschmissen herum. Bestimmt war es kaputt oder die Reifen war platt. Ich hob es auf. Es schien intakt zu sein. Und auf einmal saß ich darauf. Das wäre ja nur gerecht, wo sie mir doch mein Fahrrad geklaut hatten, rechtfertigte ich vor mich hin. Ich fuhr los, Richtung Weinberge, heim. Das Floß, wo es jetzt wohl gerade ist? Ob es wohl schon länger weg war oder erst kürzlich weggeschwemmt wurde? Vielleicht ist es gar nicht weit gekommen. Vielleicht finde ich es noch. Ich drehte um und fuhr Richtung Walluf und unten den Leinpfad entlang, immer weiter, bis nach Eltville, dann Erbach, Hattenheim, Oestrich. Ich war klatschnass vom Regen, der ja gar nicht aufhörte. Hinter jedem Baum, hinter jedem Busch hätte es sein können. War es aber nicht. Es war weg. Ich schaut zu den Auen und Rheininseln, da war alles mögliche, aber nicht mein Floß. Und so setzte ich mich in Oestrich auf eine Bank. Wie weit ist Köln, Rotterdam? Langsam kam ich mir komisch vor, aber so absurd meine Idee war, war sie auch eine Vision. Dass man in seinen Träumen eins ums andere Mal den Mississippi runterfahren sollte. Dass man seinen Kumpels 30 Jahre lang ein Ohr damit abkaut, dass man sich eines Tages mal ein Wohnmobil kaufen würde und dann damit weg, nur weg fahren würde. Und wie bei dem Floß die Leute nur milde gelacht haben, so war es natürlich auch beim Wohnmobil. Bei allem. Vieles hat nicht geklappt, einiges aber doch und am Ende waren es die im Nachhinein wichtigen Dinge, die jetzt so sind, wie sie sind und sie sind gut. und … was ist denn das für eine absonderlich Schmonzette, die ich hier geschrieben habe?!? Ja, wann ist DAS denn passiert? Hätten Sie nicht mal was sagen können? Sie haben das die ganze Zeit gelesen und keinen Ton gesagt??? Sie Schwein! Das merke ich mir. Wenn ich diesen Hunsrück eines Tages wieder verlassen habe, dann besuche ich Sie. Jeden einzelnen von Ihnen. Da brauchen Sie jetzt gar nicht (so schallend) lachen.

Ich weiß, wo Sie wohnen!

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